Ur-Modelle des Porsche 911 – Ästhetik oder nur Technik?

Urheberrechtsschutz Teil 2

Ästhetik oder nur Technik? Die Antwort scheint angesichts der fließenden Eleganz und „lächelnden“ Schönheit der Ur-Modelle des Porsche 911 klar zu sein.

In einer juristischen Auseindersetzung um urheberrechtlichen Schutz und daraus folgende Ansprüche ist die Sichtweise jedoch eine andere und zugegeben ungewohnt und durchaus eigenwillig. Denn dort setzen technische Funktionen einer möglichen ästhetischen Gestaltung Grenzen, die zu einer Schutzversagung führen können. Der hohe Wiedererkennungswert der Porsche 911-Serie mit der von der Porsche AG so häufig beworbenen „DNA“ und die Anerkennung als Designikone sorgen nicht für einen Selbstläufer im Urheberrecht.

Werke der angewandten Kunst

In dem Rechtsstreit um Nachvergütungen (Thema des ersten Teils unserer Beitragsserie) für den von Erwin Komenda entworfenen Porsche 356, der Vorlage für den Ur-Porsche 911 war, wurde im ersten Schritt geprüft, ob diese beiden Fahrzeugmodelle urheberrechtlich geschützt sind. Das ist dann der Fall, wenn es sich um Werke der angewandten Kunst im Sinne des Urheberrechtsgesetzes handelt.

Einschränkung der Gestaltungsfreiheit

Ein Werk der angewandten Kunst erfordert eine künstlerische Leistung, die durch Nutzung von Gestaltungsspielräumen entsteht. Bei der Gestaltung der Karosserie eines Kraftfahrzeuges ist dieser Spielraum durch seine technische Funktion eingeschränkt: Ein Kraftfahrzeug dient der Beförderung von Personen und Lasten und muss daher Räder und eine Karosserie zum Schutz des Motors, der Personen und Lasten aufweisen. Zudem sind gesetzliche Vorgaben für die Verkehrssicherheit zu beachten, sodass beispielsweise Scheinwerfer, Rückleuchten und Seitenspiegel Pflicht sind.

Vergleich mit vorbekannten Fahrzeugen

Trotz der technischen und gesetzlichen Einschränkungen bestand nach Auffassung des Landgerichts Stuttgart ein hinreichender Gestaltungsspielraum für Erwin Komenda, ein künstlerisches Automobil zu schaffen. Dafür sprechen bereits anders gestaltete Modelle, die im Zeitpunkt der Schöpfung des Porsche 356 in den 1950er-Jahren erhältlich waren und als Fahrzeug funktionierten. Dabei wies der Cisitalia 202 die meisten Ähnlichkeiten mit dem Porsche 356 und dem Nachfolgemodell Ur-Porsche 911 auf.

Die Ähnlichkeit liegt nach Auffassung der Richter vor allem in den prägnanten Kotflügeln mit integrierten Scheinwerfern, deren Linienführung sich nach hinten mit angedeuteter Schulterung erstreckt, allerdings weniger abfallend. Ähnlich sei zudem die nach hinten fließende Dachform, jedoch wiederum weniger abgeflacht als bei den Porsche-Modellen. Der deutlichste Unterschied sei in der Frontpartie zu finden: Durch deren weitgehende senkrechte Gestaltung entstehe nicht die für die Porsche-Modelle typische Keilform.

Ästhetik trotz Technik

Unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums und der vorbekannten Gestaltungen gelangte das Landgericht Stuttgart zu dem Ergebnis, dass die Gestaltung der Linienführung und Proportionen bei dem Porsche 356 und dem Ur-Porsche 911 eine harmonische Kombination flacher und geschwungener Elemente erkennen lassen und eine künstlerische Leistung vorliegt. Es führt dazu aus:

„Prägend ist in der Frontansicht die Kombination einer nach vorne kurvenartig abgeflachten Haube mit hochgezogenen Kotflügeln, die ihrerseits rund gestaltet sind und nach Art von Röhren die Fahrzeugseite begrenzen. In der Seitenansicht findet sich das Kurvenelement wieder, indem die auf Höhe der Kotflügel begonnene Linie nach hinten abfallend in das Fahrzeugheck überführt wird, wo sie mit der ebenfalls geschwungenen Dachlinie zusammentrifft. Hierbei handelt es sich um schöpferische Gestaltungselemente, die zwar auf der technischen Struktur des Fahrzeugs aufsetzen, diese jedoch gestalten und ihr Ausdruck verleihen. Das Kunstvolle liegt darin, durch diese Verwendung von Linien und Kurven in Verbindung mit den technischen Gegebenheiten ein ausgewogenes Gesamtbild zu schaffen, das den Funktionszweck als Sportwagen erkennen lässt und einen sportlich-eleganten Eindruck weckt.“

Ausblick

Die Hürde der Einstufung als urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst ist damit zwar genommen; im nächsten Schritt muss jedoch geklärt werden, ob sich die von der Porsche AG erfolgreich vermarkteten Modellreihen 997 und 991 des Porsche 911, für die im Rechtsstreit Nachvergütungen gefordert werden, gestalterisch zu nah an den Vorgängern bewegen oder als eigenständige Entwicklungen anzusehen sind. Über diese spannende und den Prozess entscheidende Frage werden wir im dritten Teil unserer Beitragsserie berichten.

Autorin Dr. Sabine Zentek ist Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht. Ihr Fokus ist der Designschutz.   

Teil 1 der Beitragsserie: Der Porsche 911 – Ein Mythos auf Halbwahrheiten?
Teil 3 der Beitragsserie: Wie der Ur-Porsche 911 in der "Porsche-DNA" urheberrechtlich verblassen kann