Textiles Implantat für eine effektive und frühzeitige Behandlung lebensbedrohlicher Aneurysmen

15.04.2021 – Uniklinik RWTH Aachen und NLC schließen Lizenzvertrag und vereinbaren Forschungskooperation zur Produktentwicklung.

Aneurysmen im Gehirn sind eine leise Gefahr: Bleiben diese krankhaften Aufweitungen der Hirnarterien unentdeckt und unbehandelt, steigt ab einer bestimmten Größe das Risiko, dass das Gefäß reißt. Die Folgen sind häufig gravierend: Die Betroffenen können schwere Hirnschäden und Behinderungen erleiden oder sogar sterben. Frühzeitig erkannt ist das Aneurysma durchaus behandelbar.

Die gängigen chirurgischen Verfahren sind allerdings mit erhöhten Risiken und Komplikationen für Patient*innen sowie hohen Kosten für das Gesundheitssystem verbunden. Hierfür bietet die Uniklinik RWTH Aachen als Inhaberin einer Erfindung eine patente Lösung: ein Implantat, das die Behandlung dieser Aneurysmen risikoärmer und erfolgversprechender macht. Die Erfindung wurde mit Unterstützung der PROvendis GmbH patentiert und nun an das niederländische Medizintechnik-Unternehmen OccluTex Medical lizenziert.

Schwachstellen entlasten, Risiko senken

Schätzungen zufolge haben zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung eine Gefäßaufweitung im Gehirn. Die Häufigkeit tritt bei neun bis 15 Personen pro 100 000 pro Jahr auf.  Da die Blutgefäßwände an diesen Stellen weniger belastbar sind, können diese reißen, ohne dass zuvor Beschwerden aufgetreten sind. Werden die Aneurysmen rechtzeitig entdeckt, ist es wichtig, Druck von diesen Schwachstellen zu nehmen. „Die Aussackungen werden üblicherweise mit spiralförmigen Strukturen aus Metall, sogenannten Coils, gefüllt“, erläutert Univ.-Prof. Dr. med. Stefan Jockenhövel vom Institut für Angewandte Medizintechnik (AME) der RWTH Aachen. Das führt zu einer Verlangsamung des Blutstroms und schließlich zur gewünschten Thrombosierung, dem Verschluss der Gefäßaussackung. Je nach Größe müssen über einen Katheter bis zu 30 Coils in die Aussackung geschoben werden, bis das Aneurysma komplett ausgefüllt worden ist. Besonders bei Hirnaneurysmen ist diese Behandlung sehr kompliziert. Neben erhöhten Kosten wird zudem die Eingriffszeit verlängert und damit zu einem erhöhten Risiko für die Patient*innen. „Mit dem Einsatz von OccluTex reduzieren wir zukünftig die Zahl der eingesetzten Coils, senken damit die Kosten der Behandlung und verkürzen die Behandlungszeit, sodass die Patient*innen einem deutlich geringeren Risiko für Komplikationen ausgesetzt sind“, fasst Prof. Jockenhövel die Vorteile von OccluTex zusammen.

Textilbasierter Lösungsansatz

Die Innovation der patentierten Technologie besteht in einer neuen faserbeschichteten, verformbaren Spule: Mit OccluTex entwickelte der Miterfinder Stefan Jockenhövel, NRW-Schwerpunktprofessor für Biohybride & Medizinische Textilien (BioTex), ein Implantat, das aus einer flexiblen und nichtflexiblen textilen Faserkomponente besteht, die in einem gespannten Zustand mit einem Kathetersystem in das Aneurysma eingeführt werden (Abbildung rechts, A). Nach der Freisetzung löst sich die Spannung (B) und die flexible Komponente verändert ihre Form: Das Implantat zieht sich zusammen und bauscht die unflexible textile Faser auf (C). „Wir können so einen relativ großen Bereich des Aneurysmas mit diesen Filamenten effektiv füllen und den gleichen Effekt wie bei der bisherigen Standardtherapie erzielen – nur mit weniger Implantaten und geringeren Interventionszeiten für die Patient*innen“, sagt Prof. Jockenhövel. Denkbar sei es auch, die Fasern mit prokoagulatorischen Substanzen  anzureichern  und so die thrombosierende  Wirkung  zu  steigern  –  „aber  daran forschen wir  gemeinsam mit OccluTex Medical weiter."

Forschungskooperation mit Perspektive

Mit der Lizenzvergabe an das vom niederländischen Unternehmen NLC – The European Healthtech Venture Builder ausgegründete Unternehmen OccluTex Medical ist die Forschungstätigkeit an OccluTex nicht abgeschlossen: Das Start-up und die Uniklinik RWTH Aachen kooperieren bei der Produktentwicklung und der Erweiterung des Anwendungsgebietes dieser textilen Spulen. „Der nächste Schritt in der Entwicklung von Occlutex ist die Miniaturisierung des Prototyps, um ihn für derzeit verfügbare Kathetersysteme nutzbar zu machen“, sagt Jack van Lint, CEO der Occlutex Medical B.V und führt weiter aus: „Wir sind über die Zusammenarbeit sehr froh. Mit dem Aachener AME-Team haben wir erfahrene Profis an unserer Seite.“

Zur englischen Pressemitteilung

Ansprechpersonen für inhaltliche Fragen
PROvendis GmbH: Kordula Kruber, kk@provendis.info
NLC/OccluTex Medical: Jack van Lint, CEO, jack.vanlint@occlutex.com

Pressekontakt
PROvendis GmbH: Vera Spitz, presse@provendis.info
Uniklinik RWTH Aachen: Dr. Mathias Brandstädter, mbrandstaedter@ukaachen.de